Leider ist das Programm von ZH-REFORMATION.CH bereits vorbei.
Das von Barbara Weber und Martin Heller konzipierte Langzeit-Fesival fand von Mitte 2017 bis Anfang 2019 in verschiedenen Spielstätten in Stadt und Kanton Zürich statt. Mitwirkende waren sowohl die grossen Institutionen Zürichs wie auch freischaffende KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen aus ganz Europa. Das facettenreiche Programm zeigte die Aktualität der Reformation und verlegte den Fokus von einem innerkirchlichen Ereignis auf die spürbaren Nachwirkungen im heutigen Zürich.
Zum Programm-Rückblick
Inhaltlich-Kuratorische Gesamtleitung: Barbara Weber und Martin Heller
Träger des Vereins «500 Jahre Zürcher Reformation»
Jubiläen sind so etwas wie Momente der Wahrheit. Weil daran deutlich wird, welche Bedeutung dem historischen Geschehen, um das es geht, jeweils eingeräumt wird. In fröhlicher Vereinfachung: Entweder verlegen sich die Jubilierenden auf die vorbehaltlos festlich grundierte Erinnerung an das, was war. Oder sie nehmen die runde Zahl zum Anlass, genauer hinzusehen auf das, was aus der Geschichte geworden ist, und versuchen, die Feier als kulturelle Reflexion zu verstehen und als soziales Lernen mit besonderen Möglichkeiten.
Für uns macht nur der zweite Weg Sinn. Umso mehr, als der Rückblick auf die Zürcher Reformation eine spezifische Herausforderung ist. Zumal dann, wenn es nicht um die religiöse und kirchengeschichtliche Würdigung geht, sondern um eine säkulare und gesellschaftliche Auseinandersetzung und Wertung – so der Auftrag, den sich der Verein «500 Jahre Zürcher Reformation» selbst gegeben hat.
Denn in Zürich selbst ist das Verständnis des lokalen Reformationsgeschehens umstritten. Wo die einen im reformatorischen Umsturz den Ursprung allen Wohlstands und einer Reihe fundamentaler sozialer Fortschritte sehen, von denen Stadt und Kanton noch heute profitieren, rümpfen die andern die Nase ob der noch immer in allen Winkeln des Alltags lauernden zwinglianischen Enge und Lustfeindlichkeit, und die dritten sind heilfroh darüber, dass das international trendige Zürich diesen unsäglichen Teil seiner Geschichte nun doch definitiv überwunden habe.
Also muss sich das Reformationsjubiläum solchen Ambivalenzen stellen, indem es nach deren Gründen fragt. Und sich sowohl dem vertieften Verständnis dessen widmet, was vor fünfhundert Jahren geschehen ist und weit mehr als bloss die Zürcher Welt verändert hat, wie auch den Vorurteilen und Zerrbildern, an denen es im Nachleben der Reformation bis heute nicht mangelt, und die eine besondere Wirkungsgeschichte konstituieren.
Diese Perspektive soll keinesfalls theoretisch trocken, sondern anhand von attraktiven kulturellen und interkulturellen Projekten und Veranstaltungen bearbeitet und erfahrbar gemacht werden. Ganz aus der Perspektive des Hier und Jetzt, und in einer Vielfalt der Formen und Zugänge, die der Breite des Publikums und seinen Interessen gerecht wird – das Jubiläum richtet sich bewusst und in erster Linie an die Zürcher Bevölkerung, die damit ein Stück eigene Geschichte und Prägung nachvollziehen kann, aber natürlich auch an Besucherinnen und Besucher oder Gäste.
Wie wir beide auch, sind viele unserer Partner und Komplizen, die wir im Laufe der Vorbereitung bereits gefunden haben und noch finden werden, alles andere als Expertinnen und Experten für die Belange der Zürcher Reformation. Aber sie teilen mit uns die Neugier, herauszufinden, worum es geht, wenn wir über Huldrych Zwingli, sein Handeln und seine Zeit nachdenken und dabei rasch in einer Gegenwart landen, in der die reformierte Kirche mit massivem Mitgliederschwund zu kämpfen hat und einstige Gewissheiten über Glaubenshaltungen und Glaubensfragen nicht mehr gelten, sondern von einem mehr oder weniger unverbindlichen Diskurs der Vermutungen und Spekulationen abgelöst wurden. Dazu kommt die Lust an einer Thematik, die wir uns nicht zuletzt deshalb zu eigen gemacht haben, weil wir sie als bereichernd erfahren, weil sie willkommene Sinnfragen aufwirft und weil sie gerade Nicht-Spezialisten immer wieder mit unerwarteten Entdeckungen lockt.
Vor diesem Hintergrund bietet das Zürcher Jubiläum die grosse Chance, zum Ende des Lutherjahres und die darauf referierenden Schweizer Reformationsfeiern, die einiges an öffentlicher Aufmerksamkeit geschaffen haben, sich nun der eigenen lokalen Verhältnisse annehmen zu können. Über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren hinweg, von Mitte 2017 bis Anfang 2019, mit einer Vielzahl von Mitwirkenden und im ständigen Versuch, zusammen mit den Fakten der Zürcher Reformation auch deren prägende Wirkungen zu bearbeiten und zu vermitteln, über eindringliche, eindrückliche und nachhaltige Veranstaltungen und Angebote.
Wir verstehen und formen das Reformationsjubiläum deshalb auch nicht als ein kompaktes Festival, dessen Dichte zwangsläufig Übersättigung produzieren würde. Unsere Vorstellung ist vielmehr die einer weitläufigen, mit Zürcher Kultureinrichtungen sowie anderen Institutionen und Anbietern verknüpften Programmlandschaft. Diese Landschaft ermöglicht und provoziert beim Erkunden immer wieder neue und überraschende Begegnungen mit Aspekten der Reformation gestern und heute, eingebettet in den kulturellen Alltag der Stadt, aber kenntlich gemacht als Teile einer übergreifenden, aus dem Erbe der 500 Jahre gewonnenen Erzählung.
Letztlich geht es um das Paradoxon eines würdigen und respektvollen Spektakels – Zürich im Blick auf sich selbst. Keineswegs als Nabelschau, sondern getrieben vom Anspruch einer durch beträchtliche öffentliche Mittel ermöglichten Überprüfung einer gesellschaftlichen Disposition, deren Resultate glücklicherweise nur zum Teil absehbar sind. Das grosse Bild, das aus dem Jubiläumsprogramm entstehen wird, ist ein Versuch, die Geschichte der Reformation fortzuschreiben und zu nutzen: zur Neubestimmung einer ebenso komplexen wie grundlegenden Beziehung.