Frauen der Reformation
Als Reformationsbotschafterin ist es mir ein Anliegen, die Frauen der Reformation hervorzuheben. Immerhin ist es ein Alleinstellungsmerkmal der Reformierten Kirche, dass Frauen eine gleichberechtigte Rolle darin spielen. Wir werden als Pfarrerinnen ordiniert und dürfen auch Pfarrer heiraten. Die Gleichstellung der Geschlechter vor Gott war einigen Theologinnen und Laien-Theologinnen schon von Anfang an klar.
Doch erst in den letzten Jahren entdecken wir diese Frauen und ihre Ideen. Warum? Die Quellen sind spärlich. Briefe und Schriften von Frauen wurden oft nicht aufbewahrt, oder sie wurden sogar verboten. Die Frauen der Reformation wurden meist nicht porträtiert und Kirchenhistoriker haben sie kaum erwähnt. Aber inzwischen wurden so viele Schriften und auch Hinweise in Briefen der männlichen Reformatoren gefunden und ausgewertet, dass spannende Porträts entstehen konnten.
Für Frauen der ersten Stunde war die Reformation ein Befreiungsschlag. Die Übersetzung der Bibel ins Deutsche sorgte dafür, dass jede prüfen konnte, was in der Bibel wirklich steht. Das reformatorische Prinzip des Priestertums aller Glaubenden bedeutete, dass auch Frauen etwas zu sagen hatten. Sie konnten sich als Laien am öffentlichen Diskurs um die richtige Auslegung der Bibel beteiligen. Es kostete etwas so viel wie eine Mahlzeit, eine Flugschrift vom Drucker aufsetzen zu lassen. Die Druckerpresse war so revolutionär wie heute das Internet. Ideen konnten sich in Windeseile verbreiten, auch die Ideen von Frauen. Eine Flugschrift der ersten Reformatorin, Argula von Grumbach, erschien in 13 Auflagen.
Für Frauen war es befreiend zu begreifen, dass jeder Mensch, auch jede Frau, eine unmittelbare Beziehung zu Gott haben kann, allein durch den Glauben an Jesus Christus, nicht durch die Teilnahme an der Messe, nicht durch die Beichte, nicht durch gute Werke. So kam es, dass viele Frauen eine Autorität erkannten, die höher zu werten war als die Autorität des Bischofs oder des eigenen Ehemannes.
Das eigenständige Lesen der Bibel war ein emanzipatorischer Akt. Frauen erkannten, dass sie mit der Heiligen Schrift für die Gleichstellung der Frau argumentieren konnten. Das viel zitierte Schweigegebot für Frauen in den Gemeinden in zwei paulinischen Briefen wurde in seiner absoluten Gültigkeit widerlegt mit anderen Zitaten der Bibel. Reformatorinnen entdeckten biblische Gestalten wie die Richterin Deborah und die Jüngerin Maria Magdalena als Vor- und Leitbilder. Sie entdeckten weibliche Metaphern für Gott und betonten Gottes weibliche Seite sowie die Gleichheit in Christus.
Marie Dentière, eine Theologin und ehemalige Äbtissin, die in Genf öffentlich predigte und die Reformation von Farel und Calvin kritisch unterstützte, schrieb: «Haben wir zwei Evangelien? Eines für die Männer und ein anderes für die Frauen?» Sie berief sich auf Paulus im Galaterbrief 3,28: «…alle sind wir eins in Jesu Christo, hier ist weder Mann noch Weib, weder Knecht noch Freier.»
Sie ging mit ihrer feministischen Auslegung der Bibel den männlichen Reformatoren zu weit. Der Genfer Stadtrat zog alle Exemplare ihres Buches ein. Der Verleger wurde verhaftet und Marie Dentière wurde das Reden in der Öffentlichkeit verboten. Im gesamten 16. Jahrhundert verliess kein einziges Werk einer Frau mehr die Genfer Druckerpressen.
Trotzdem hielten auch männliche Reformatoren daran fest, dass auch Frauen und Mädchen lesen und schreiben lernen sollten. Sie führten an vielen Orten die Volksschule ein. Bis heute haben Frauen in Ländern der Reformation einen allgemein höheren Bildungsstand als in anderen Ländern.
Die Aufwertung von Ehe, Sexualität und Kindererziehung durch Reformatoren wie Martin Luther und Huldrych Zwingli kam den Frauen meist zugute. Nicht nur jungfräuliche Nonnen waren Gott gefällig, sondern vor allem Ehefrauen und Mütter, denn die Ehe sei eine von Gott gestiftete Institution, das Klosterwesen sei aber von Menschen erfunden.
Früher hatte es geheissen, dass Frauen einen noch schwierigeren Zugang zur Gnade hätten, wegen ihrer Sexualität. Im Mittelalter waren menstruierende, schwangere und stillende Frauen vom Kirchenbesuch und von der Teilnahme an der Kommunion ausgeschlossen, und nach der Geburt eines Mädchens verdoppelte sich die Zeit des Ausschlusses! Luther und Zwingli heirateten und empfahlen ihren Priesterkollegen, es ihnen gleich zu tun. Ihre Hochachtung für ihre Frauen zeigten sie öffentlich und führten damit einen Paradigmenwechsel in der Gesellschaft ein.
In Zürich führte Zwingli mit beiden Räten das erste Ehegericht weltweit ein. Die Zwangsheirat wurde verboten, und das heiratsfähige Alter für Frauen auf 19 Jahre erhöht. Auch die viel praktizierte «heimliche Ehe» wurde verboten, was Frauen und ihren Kindern zugutekam, und Scheidung und Wiederheirat wurden möglich.
Die Reformatoren prägten eine neue Ethik der Verantwortung. Ehemännern und Vätern wurde nahe gelegt, Verantwortung für ihre Familie zu übernehmen. Das Spielen wurde verboten und die Bordelle wurden geschlossen. Die tägliche Arbeit und die Verbesserung der Gesellschaft waren auch «Gottesdienst».
Pfarrfrauen, ob ehemalige Nonnen, Adlige oder Bürgerliche, waren miteinander in Kontakt und halfen sich gegenseitig, den neuen Berufsstand zu definieren. Typisch war ihre Gastfreundschaft für Studenten, Flüchtlinge, Politiker und Reformatoren auf der Durchreise, auch ihre Sorge für die Armen und Kranken, sowie ihre Bemühungen um gesellschaftliche Reformen.
Auffallend ist die Toleranz, die einige Pfarrfrauen und Laientheologinnen den verfolgten Täufern gegenüber an den Tag legten. Katharina Schütz Zell aus Strassburg, die mit Luther und Zwingli in geistigem Austausch stand, schrieb in einem Brief: «Die armen Täufer…die doch Christus den Herrn auch mit uns bekennen im Hauptstück… viele unter ihnen [haben Christus] bis in das Elend, Gefängnis, Feuer und Wasser bekannt.» Als sie am Grab einer Täuferin predigte, weil kein Pfarrer bereit war, die Frau christlich zu beerdigen, wollte der Rat sie bestrafen. Sie starb aber noch vor der Anhörung.
Hat die Reformation den Frauen schliesslich mehr oder weniger Freiheit gebracht? Hat sie zu mehr Gleichberechtigung geführt oder hat sie patriarchale Macht zementiert?
Darüber wird zurzeit viel geschrieben. Ich persönlich sehe es so: Die Reformatoren waren auch Kinder ihrer Zeit. Obwohl das Frau-Sein durch die Reformation klar aufgewertet wurde, blieben Rollenvorstellungen starr, und diese wurden auch noch mit Bibelzitaten untermauert. In ähnlicher Weise hielt man lange an der Vorstellung fest, dass Sklavenhandel und Rassentrennung zum Evangelium keinen Widerspruch darstellten. Das Evangelium birgt aber eine befreiende Kraft, die in jedem Zeitalter und in jeder Kultur neu zum Durchbruch kommen kann, wenn sich Menschen von der alten Schrift neu ansprechen lassen.